Defibrillatoren in unseren U-Bahnhöfen

Herzstillstand? Elektroschock!

Wenn das Herz still steht, geht es um Leben und Tod. Hilfe muss her und zwar schnell. Seit Anfang 2014 ist jeder U-Bahnhof mit mindestens einem Defibrillator ausgestattet, mit dem auch jeder Laie Leben retten kann. In einigen U-Bahnhöfen sind mehrere Geräte installiert, um die Wege in einem Notfall möglichst kurz zu halten. Die Defibrillatoren befinden sich in besonders gekennzeichneten Notfallsäulen am Bahnsteig oder im Zwischengeschoss. Auf den anderen Säulen ist ein Hinweis angebracht, wo der nächste Defibrillator zu finden ist.

Eine Erfolgsgeschichte

Leben retten im Untergrund

Seit mehr als 20 Jahren sind Münchens U-Bahnhöfe mit Defibrillatoren ausgerüstet. Die kleinen unscheinbaren Geräte haben seither viele Menschen vor dem plötzlichen Herztod bewahrt – eine Erfolgsstory, die schon viele Nachahmer inspiriert hat

Die Anfänge

Der erste Defibrillator im Münchner ÖPNV wurde am 1. April 2001 im U-Bahnhof Marienplatz installiert. Kein Aprilscherz, sondern der Beginn einer Erfolgsgeschichte, der im Laufe der nächsten Jahre viele Menschen ihr Leben verdanken sollten. Münchner Ärzte brachten die Idee aus Amerika mit, wo seit 1999 das „public access defibrillation program (PAD)“ existiert, ein für Laien zugängliches Defibrillationsprogramm. Für die öffentliche Anbringung der Geräte schienen unsere U-Bahnhöfe ideal: hohe Publikumsfrequenz, großes Aufmerksamkeitspotential und eine gut ausgebaute Infrastruktur mit Notrufeinrichtungen und Kameraüberwachung. Durch die verschachtelte Bauweise mancher Bahnhöfe können zudem die Hilfsfristen für den Rettungsdienst verlängert sein, so dass sich bei einer Reanimation gerade hier wertvolle Zeit gewinnen ließe. Mit dem damaligen Stadtrat und leitenden Notarzt Dr. Josef Assal fand man schnell einen weiteren Mitstreiter, der sich fortan unermüdlich für das Projekt einsetzte. Mit seiner Hilfe es gelang es auch, den damaligen Oberbürgermeister Christian Ude von dem Projekt zu überzeugen, der daraufhin gerne bereit war, die Schirmherrschaft zu übernehmen. München war damit weltweit die erste Stadt, die in ihrem U-Bahnnetz Defibrillatoren öffentlich verfügbar machte.

Spenden sichern Finanzierung 

Das Jahr 2001 war auch die Geburtsstunde des gemeinnützigen Vereins „München gegen den plötzlichen Herztod e. V.“, der es sich unter dem Vorsitz von Dr. Markus Matula zur Aufgabe gemacht hat, Spenden zu sammeln und damit die Anschaffung neuer Geräte zu finanzieren. Dank vieler kleinerer Spenden und einigen Großspendern u. a. durch Lions Club, Rotary Club und Stadtwerke München konnte der Verein bis heute über 250.000 Euro in die Beschaffung von Defibrillatoren investieren, wodurch der Ausbau überhaupt erst möglich wurde.

Der Ausbau geht voran

Nach der Installation am Marienplatz wurden in kurzer Folge fünf weitere Geräte an besonders stark frequentierten U-Bahnhöfen angebracht, wie z. B. Odeonsplatz und Sendlinger Tor. Immer wenn der Verein wieder über neue Spendenmittel verfügte, konnten weitere Geräte angeschafft und das Netz kontinuierlich ausgebaut werden. Seit 2014 ist mit 121 Geräten der finale Ausbaustand erreicht, womit nun jeder U-Bahnhof über mindestens einen Defi verfügt. Um die Wege in einem Notfall möglichst kurz zu halten, sind an großen Kreuzungsbahnhöfen bis zu vier Geräte installiert, z. B. auch im Zwischengeschoß. In den ersten Jahren waren die Defibrillatoren meist in einen elektromagnetisch gesicherten Kunststoffkasten oder in einer dem jeweiligen Bahnhof angepassten Edelstahlkonstruktion untergebracht. Mit Einführung der neuen Notfallsäule konnten die Geräte dann ab 2009 vollumfänglich in diese integriert werden (siehe Bildergalerie).

Benutzerfreundliche Geräte

Die ersten verwendeten automatisierten externen Defibrillatoren (AEDs) im Münchner U-Bahnnetz waren das Model Lifepak 500 des Herstellers Physio Control. Mit der Installation des 11. Defibrillators fand ein Wechsel zum Nachfolgemodell Lifepak CR Plus von Physio Control (jetzt Stryker) statt, das bis heute erfolgreich im Einsatz ist. Die Geräte zeichnen sich durch ihre robuste Bauweise und einfache Bedienung aus. Eine Sprachsteuerung unterstützt dabei die Anwender, weswegen gerade Laien im Grunde nichts falsch machen können.

München als Vorbild

In den vergangenen Jahren war ein stetig steigendes Interesse anderer Verkehrsunternehmen, Institutionen und Kommunen an unserem Projekt zu verzeichnen. Die meisten Anfragen bezogen sich auf unsere generellen Erfahrungen, die Häufigkeit der Einsätze oder zu den verschiedenen rechtlichen Aspekten. Im Februar 2016 erhielten wir Besuch von einer Delegation der Moskauer U-Bahn, die sich umfassend über das Projekt informierte. 2020 war das Projekt auch Gegenstand einer Doktorarbeit [1], durch die wir heute über umfangreiches Datenmaterial verfügen, welches den Nutzen einer Frühdefibrillation durch Laienhelfer nochmals eindrucksvoll unterstreicht. München war und ist somit zweifellos Vorbild für viele ähnliche Vorhaben zur Anbringung von Defibrillatoren im öffentlichen Raum.

Defi steigert Überlebenschancen

Besagte Dissertation belegt, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit durch den raschen Einsatz eines Defibrillators durch Laien erheblich gesteigert werden kann. Im Zeitraum der Auswertung (04/2001 bis 12/2016) kam es zu 78 dokumentierten Fällen. Bei 38 Einsätzen mit dem AED lag entweder ein Kammerflimmern oder eine schwere Herzrhythmusstörung vor. Alle 38 Patienten erhielten mindestens eine bis maximal fünf Schockabgaben durch den AED. Bei 21 der 38 Einsätze lagen vollständige Daten über das Notfallereignis und auch über den weiteren Verlauf der Behandlung vor. Diese Daten zeigten, dass 16 der 21 Patienten das kardiale Notfallereignis überlebten (76,2 %) und dass 12 der 16 überlebenden Patienten das Krankenhaus ohne erkennbare neurologische Defizite verlassen konnten (57,1 %). Bei 17 Patienten konnte der weitere Verlauf nicht ermittelt werden, trotzdem ist davon auszugehen, dass bis heute mehr als 30 Personen diesen akuten Notfall überlebt haben. Zum Vergleich: Die Statistiken der Rettungsdienste weisen bei einem Herz-Kreislauf-Stillstand durch Kammerflimmern deutlich niedrigere Überlebensraten aus.

Lebensrettung als Gemeinschaftsprojekt

Bei der Ausstattung der Münchner U-Bahnhöfe mit Defibrillatoren handelt es sich um ein gemeinsames Projekt der Berufsfeuerwehr München, Stadtwerke München GmbH, Stadt Garching und Münchner Verkehrsgesellschaft mbH, in Zusammenarbeit mit dem Verein „München gegen den plötzlichen Herztod e. V.“. Neben den beteiligten Ärzten, Dr. Josef Assal, Dr. Markus Matula und Prof. Karl-Georg Kanz, gilt ein besonderer Dank auch Klaus Enhuber und Wolfgang Schuldt, die sich seit 20 Jahren ehrenamtlich für das Projekt einsetzen und damit maßgeblich zu dessen Erfolg beigetragen haben.

Aufklärung ist wichtig

Neben der Teilnahme an Sonderveranstaltungen (z. B. Herzwoche) fanden bislang in loser Folge auch Publikumsveranstaltungen in den Kundencentern oder im MVG Museum statt. Auch in unserer Kundenzeitschrift und im Infoscreen wurde das Thema immer wieder aufgegriffen, um unsere Fahrgäste entsprechend zu sensibilisieren.

[1] Riedel, Anna: Sicherheit und Effektivität automatischer externer Defibrillatoren im Münchner U-Bahnnetz. Medizinische Hochschule Hannover 2020.

Grußwort zum 20-jährigen Jubiläum

Dr. med. Markus Matula Dr. med. Markus Matula

In Deutschland sterben pro Tag ca. 350 Menschen am plötzlichen Herztod. Dies ist eine ungeheure Anzahl an Menschenleben, die in der Größenordnung nicht wahrgenommen wird, obwohl fast jeder irgendwen kennt, der plötzlich verstorben ist. Der plötzliche Herztod wird meist als schicksalhaft betrachtet, dabei wird zum einen oft übersehen, dass es eine akute Therapie gegen das den Herztod auslösende Kammerflimmern gibt, nämlich die Abgabe eines Elektroschocks. Und zum anderen, dass Überlebende des plötzlichen Herztodes oft eine gute Prognose besitzen und noch viele Jahre leben können. Aus diesen Überlegungen wurden vor ca. 25 Jahren Defibrillatoren konstruiert, die überwiegend selbstständig, d. h. automatisch, die lebensrettenden Elektroschocks abgeben. Nach Anbringen der Klebe-Patches auf der Brust des oder der Betroffenen analysiert das Gerät selbstständig das EKG und stellt fest, ob es sich um Kammerflimmern handelt. Der Defibrillator führt den Ersthelfer mittels Sprachanweisung durch die Reanimation, die so auch von medizinischen Laien fachgerecht durchgeführt werden kann. Die Herausforderung bestand darin, die automatischen Defibrillatoren im öffentlichen Raum für medizinische Laien verfügbar zu machen. Vor nunmehr 20 Jahren entstand die Idee, die Münchner U-Bahnhöfe mit Defibrillatoren auszustatten, in der Vorstellung, dass damit aufgrund der extrem hohen täglichen Personenfrequenz viele Menschenleben gerettet werden können. Der gemeinnützige Verein „München gegen den plötzlichen Herztod e.V.“ übernahm dabei die Aufgabe, die Defibrillatoren über Spenden zu finanzieren und das Projekt wissenschaftlich zu begleiten. Außerdem leistete der Verein Öffentlichkeitsarbeit, um über dieses neue, außergewöhnliche Ersthelfer Projekt zu informieren. Die technische Umsetzung gelang den Münchener Verkehrsbetrieben vorbildlich. Seit der sukzessiven Ausstattung aller Münchner U-Bahnhöfe mit offen zugänglichen automatischen Defibrillatoren konnten damit zahlreiche Menschen erfolgreich reanimiert werden. Die Überlebensrate bei plötzlichem Herztod liegt in der Münchner U-Bahn bei über 70 % - verglichen mit den sonst erzielbaren Werten im außerklinischen Bereich eine beispiellose Erfolgsgeschichte.

Dr. med. Markus Matula, Facharzt für Innere Medizin und Kardiologie
Vorsitzender des Vereins "Münchnen gegen den plötzlichen Herztod e. V."

 

Hintergrund

© Physio-Control GmbH

Mit Defibrillatoren wird das lebensgefährliche Kammerflimmern des Herzens unterbrochen, das bei etwa 90 Prozent aller Menschen mit plötzlichem Herz-Kreislauf-Stillstand auftritt. Ursache ist oft ein Herzinfarkt. Nur ein gezielt ausgelöster Elektroschock kann den gestörten Herzrhythmus wieder in Takt und das Herz somit zum selbständigen Schlagen bringen. Wird ein Opfer innerhalb der ersten Minute mit einem Elektroschock behandelt, besteht eine Überlebenschance von über 90 Prozent. Danach sinkt die Wahrscheinlichkeit um etwa 10 Prozent pro Minute. Nach spätestens fünf Minuten treten die ersten irreparablen Hirnschäden ein. Nach acht bis zehn Minuten ohne Reanimation ist der Patient in der Regel tot.

Viele sind heute noch der Meinung, dass der Notarzt schnell genug kommt und in wenigen Minuten beim Patienten ist. Dabei wird vergessen, dass vom Eintreten eines Notfalls bis zum Eintreffen professioneller Hilfe schnell 12 Minuten und mehr vergehen können. Deshalb kann bei einem plötzlichen Herzversagen der telefonisch gerufene Notarzt in der Regel, auch unter günstigsten Voraussetzungen, nicht rechtzeitig beim Patienten sein. Wenn Passanten, Fahrgäste, Freunde, Angehörige, Kollegen nicht sofort helfen, endet das plötzliche Herzversagen daher meist tödlich!

Anleitung

© MVG, Kerstin Groh

Im Ernstfall muss zunächst ein Notruf ausgelöst werden, durch den unsere Mitarbeiter in der U-Bahnbetriebszentrale alarmiert werden. Sprechen Sie bitte möglichst ruhig und deutlich. Der Disponent verständigt außerdem sofort Rettungsdienst und U-Bahnwache. Anschließend kann der Defibrillator, der in einem alarmgesicherten Fach untergebracht ist, entnommen werden. Entfernen Sie sich erst dann vom Notruf, wenn der Mitarbeiter in der U-Bahnbetriebszentrale keine Rückfragen mehr hat.

Das Gerät selbst führt mittels Sprachansage klar und deutlich durch die gesamte Wiederbelebung. Auf den Gehäusedeckeln ist zudem eine Kurzanleitung angebracht.

Unser Video

 

Bildergalerie Zeitreise

Die Standorte

In jedem der 100 Münchner U-Bahnhöfe ist mindestens ein Defibrillator installiert. Aktuell gibt es jetzt im Netz der MVG 121 Geräte. Fünf weitere sind zusätzlich im mobilen Einsatz.

Das Projekt

Bei der Ausstattung der Münchner U-Bahnhöfe mit Defibrillatoren handelt es sich um ein gemeinsames Projekt der Berufsfeuerwehr München, Stadtwerke München GmbH, Stadt Garching und Münchner Verkehrsgesellschaft mbH, in Zusammenarbeit mit dem Verein »München gegen den plötzlichen Herztod e. V.«

Fachaufsicht und ärztliche Leitung:
Prof. Dr. med. Karl-Georg Kanz